Editorial 2024 | 1 – Wir sind nicht allein – die Mitte der Gesellschaft steht auf

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Liebe Mitgliedsverbände, Freunde und Unterstützer,
liebe Leserinnen und Leser,

kaum haben wir den Jahreswechsel in Ruhe und Gelassenheit hinter uns gelassen, so beschert uns das neue Jahr regelrechte Turbulenzen. Die Welt ist noch unruhiger geworden, die innenpolitische Situation entwickelt sich bedenklich. Und auch wir, die AGIJ, haben Erfahrungen machen müssen, die uns mehr als irritieren. Aber der Reihe nach – und zuallererst mal eine kurze Rück- und eine Vorschau auf unsere vielfältigen Aktivitäten, die sich unverändert wachsenden Zuspruchs erfreuen.

Unsere Aktivitäten, Angebote und Pläne – und ein großer Dank

2023 haben wir wie gewohnt jede Woche 15 Kurse und Gruppen angeboten – und dieses Jahr manchmal sogar noch mehr: Vom Computerkurs über das Sprachcafé bis hin zum Schwimmkurs. Dazu gab es im jedem Quartal über 15 Events und Workshops, ob Rap-Workshop, Yoga-Kurs, Veranstaltungen zum Bildungssystem oder gemeinsames Apfelsaftpressen auf einem Biohof.  Natürlich stand die laufende Unterstützung und Koordination unserer Mitgliedsverbände dabei immer im Focus, aber es gab auch sehr attraktive Einzel-Events, wie die Mit-Organisation der Kurdischen Filmtage, die unsere volle Konzentration und Energie gefordert hatten. Dass wir die ganzen Sommerferien hindurch ein laufendes Angebot für Jugendliche aufrechterhalten konnten, ist nicht selbstverständlich und ist dem besonderen Engagement einiger Multiplikatoren zu verdanken.

An dieser Stelle möchten wir einen herzlichen Dank sagen an alle ehrenamtlichen Helfer in der AGIJ und den Mitgliedsverbänden, an alle Akteure und Initiatoren, an alle Kurs- und GruppenleiterInnen und auch an alle Unterstützer in befreundeten Vereine. Und ganz besonders auch an diejenigen BehördenmitarbeiterInnen und politisch Verantwortlichen, die trotz mancher Hürden und Widerstände die AGIJ im Rahmen ihrer Möglichkeiten mit aller Kraft unterstützt haben.

2024 wollen wir nahtlos anknüpfen an unsere erfolgreiche Arbeit im letzten Jahr. Im ersten Quartal organisieren wir neben den wöchentlichen Kursen und Gruppen wieder viele nützliche, praxisorientierte und unterhaltsame Workshops u.a. eine Berufsorientierung im Hotelgewerbe, Einführung in den 3-D-Druck, eine JuLeiCa-Schulung, aber auch  gemeinsame Erlebnisse wie Schlittschuhlaufen oder Feiern des chin. Neujahrfestes. Alle Angebote seht ihr wie gewohnt hier auf der Homepage. Daneben gibt es auch immer spontan geplante Aktivitäten, die wir kurzfristig ankündigen. Es lohnt sich also, hier auf der HP öfters nachzuschauen. Das Archiv ist aus technischen Gründen zur Zeit nur eingeschränkt nutzbar, es geht demnächst wieder vollständig ans Netz.

Zwei Arbeitsfelder seien hier noch erwähnt, die uns 2024 mit Sicherheit stark beschäftigen werden: Die Weiterführung und der Ausbau der beiden großen, jahresübergreifenden Bildungsprojekte: „Bildung durch Empowerment – Arbeit mit jungen Geflüchteten in interkulturellen Jugendverbänden“ sowie „Schule – Was nun? Begleitung von jungen Menschen beim Übergang von der Schule in Ausbildung/Studium/Beruf“ . Und last but not least der – höchstwahrscheinlich – anstehende Umzug in neue Räumlichkeiten. Da die Mietvertragskonditionen in der Thedestraße 2025 auslaufen, haben wir uns seit längerem nach neuen Vereinsräumen umgesehen. Alles andere als einfach. Aber wir haben einen großen Schritt gemacht. Zusammen mit dem Stadtteilverein „Wir für Niendorf“ und dem Verein „Hamburger Kinder- und Jugendhilfe“ sind wir als Mieter für die wunderschöne – zur Zeit leerstehende – Lippersche Villa in Niendorf vorgesehen. Vor einigen Tagen fand bereits eine symbolische Schlüsselübergabe an die drei zukünftigen Mieter statt, die Presse und NDR-Hamburg-Journal (ab min. 07:24) haben berichtet. Nun müssen noch eine Reihe von organisatorischen und baulichen Fragen geklärt werden.
Wir werden euch auf dem Laufenden halten. 

Gespräche und Kontakte

Es ist wichtig, dass wir unsere geleisteten Aktivitäten, unsere zukünftigen Projekte und den gesamten interkulturellen und pädagogischen Ansatz unserer Arbeit nicht nur in Mails, Berichten und Pressemitteilungen dokumentieren, sondern dass wir uns im persönlichen, direkten Gespräch mit Politikern, Behördenvertretern und Multiplikatoren austauschen.

Im Dez 2023 waren wir vom Finanzsenator eingeladen zu einem Empfang im Rathaus für ehrenamtliche Vereine. Der Senator bedankte sich mit herzlichen Worten für die Arbeit der Vereine und erklärte die verschlungenen Wege, die die Finanzmittel nehmen von der Haushaltsplanung, über politische und administrative Wege bis hin zu den Vereinen. Er informierte über Neuigkeiten in der Umsetzung finanzpolitischer Entscheidungen, während die Gäste Möglichkeit hatten, Fragen zu stellen.

Im Januar 2024 organisierte der Innensenator ein Arbeitsfrühstück mit den Migrantenvereinen. Auch hier waren wir vertreten. Tenor war, es gäbe einen positiven Trend bei der Personalaufstellung, nunmehr seien deutlich mehr Migranten bei den Behörden beschäftigt. Seit Jahren hatten die Communitys darauf hingewiesen, dass sich die demographische Zusammensetzung der HH-Bevölkerung  aus grundsätzlichen wie praktischen Erwägungen in den personellen Behördenstrukturen widerspiegeln  müsste. Dass es jetzt Bewegung gegeben habe, wurde nachdrücklich  begrüßt, allerdings sei dieser Trend noch nicht in den höheren Verwaltungsebenen angekommen.

Mit dem Landesjugendring stehen wir seit längerer Zeit in engem Austausch und sprechen über Kooperationsmöglichkeiten auf verschiedensten Gebieten. Am 24. Januar 2024 sind wir zur öffentlichen Vollversammlung des LJR eingeladen worden, um dort mit der Staatsrätin über einen Skandal im Landesjugendamt zu sprechen, der direkt mit der AGIJ zu tun hat. Und damit kommen wir zum dritten Punkt dieses Editorials.

Die Überprüfung der Hamburger Jugendverbände durch den Verfassungsschutz – ein Skandal

Dieser einmalige Vorfall hat hohe Wellen geschlagen, hat zu einer Anfrage in der Bürgerschaft und zu einer großen Resonanz in den Medien (Presse, TV) geführt. Monatelang wurde suggeriert, als ob die Überprüfung der Hamburger Jugendverbände ihren Grund darin hätte, dass ein Mitgliedsverein der AGIJ unter Beobachtung des Verfassungsschutzes stünde und man gewissermaßen als vorbeugenden Schutz der Jugendarbeit nun alle Jugendverbände überprüfen müsste. Nichts davon ist wahr, es gab überhaupt keinen Anhaltspunkt, weder gegen einen Mitgliedsverband der AGIJ noch gegen irgendeinen Jugendverband. Und obwohl das sehr schnell klar war, hat man uns monatelang im Unklaren gelassen. Was aber war der eigentliche Hintergrund?

Wir haben in einer Stellungnahme an die Presse, an die Abgeordneten der Bürgerschaft und an die Behördenvertreter klargestellt, dass der eigentliche Ursprung der angeforderten Überprüfung überhaupt nicht ein möglicherweise vager Verdachtsfall eines einzelnen Vereins, sondern einzig und allein ein diskriminierender Akt war, der auf Initiative und Drängen der Leiterin des Jugendamtes erfolgte. Sie gab als Grund für ihr Vorpreschen die „Diversität“ der Verbände angesichts eines von der AGIJ geplanten Projektes an. Die Aufforderung zur Überprüfung war eindeutig auf die Mitgliedsverbände der AGIJ gemünzt, dieses geht aus dem Mailverkehr zwischen der Leitung des Landesjugendamtes und dem Verfassungsschutz unzweifelhaft hervor.

Wir haben mit unserer Stellungnahme diesen Zusammenhang aufklären wollen, konnten das aber erst, nachdem uns der Mailverkehr vorlag. Dieser Vorgang reiht sich ein in eine ganze Serie von sich über Monate erstreckende diskriminierende und verletzende Bemerkungen und Handlungen seitens der Amtsleiterin, die sich mehrmals ganz offen gegen den interkulturellen Ansatz der AGIJ aussprach und sich damit gegen das Konzept und die Prinzipien der AGIJ richtete. Wir haben diese Vorfälle dokumentiert und der Leitung der Behörde zur Kenntnisnahme übermittelt.

In dieser Zeit, in der die Welt von Kriegen und Konflikten so stark wie schon lange nicht mehr durchzogen ist und die Kulturen der Völker instrumentalisiert werden, um Hass und Zwietracht zu säen, sind die Jugendverbände – und ganz besonders die interkulturellen Jugendverbände – ein Hort des friedlichen Miteinanders, des konstruktiven Austausches, des demokratischen Dialogs. Es ist wirklich völlig unverständlich, dass in dieser Zeit eine Jugendamtsleiterin den interkulturellen Ansatz der AGIJ überhaupt nicht verstehen will und unser Konzept prinzipiell ablehnt.

Auf der Vollversammlung des Landesjugendringes am 24. Januar wurde der Skandal öffentlich in großer Runde thematisiert.  Die Versammlung war randvoll, alle anwesenden Jugendverbände, incl. des zugeschalteten Bundesjugendrings, forderten Aufklärung und Konsequenzen. Die Staatsrätin der Sozialbehörde, Frau Lotzkat, hatte die Einladung zu der Versammlung angenommen und stand den Fragen der Jugendvertreter geduldig Rede und Antwort. Dass die Leiterin des Jugendamtes mit sofortiger Wirkung von ihren Aufgaben entbunden wurde, wie Frau Lotzkat mitteilte, empfanden wir alle als einen richtigen, wenn auch überfälligen Schritt. Immerhin hatte das Verhalten der Jugendamtsleiterin schon längst zu einem unerträglichen Arbeitsambiente und zu Kündigungen unter Jugendamtsmitarbeitern geführt, MitarbeiterInnen, mit denen wir seit vielen Jahr bestens zusammengearbeitet hatten. Dass die inneren Kommunikationswege und die Neubesetzung von leitenden Stellen durch wirklich kompetente Mitarbeiter nunmehr geprüft werden soll, können wir nur begrüßen. Etwas nebulös bleibt für uns Jugendverbände das Verhältnis von Jugendamt und Verfassungsschutz. Da ist noch gewaltig Klärungsbedarf.

Was wir nun fordern, ist nicht viel. Lediglich die Wiederherstellung eines Normalzustandes. Wir brauchen und wollen ein vertrauensvolles Verhältnis zum Landesjugendamt. Und das heißt, dass wir es in Zukunft mit einer Jugendamtsleitung zu tun haben möchten, die das Projekt der AGIJ vorbehaltlos und aus innerer Überzeugung unterstützt.  Wir jedenfalls werden unbeirrt weitermachen und wir werden auch jeden Anflug von Diskriminierung und Rassismus mit allen gebotenen demokratischen Mitteln bekämpfen. Und damit kommen wir zum letzten Punkt:

Der Rechtsradikalismus – und der Protest der vormals Stillen

Hat eigentlich keiner hingeguckt? Oder ehrlicher formuliert: Warum hat man solange weggeschaut? Was es an Häufung  rechtsradikaler und rassistischer  Äußerungen und Vorfällen in den letzten Jahrzehnten gab, sind doch keine Ausnahmen mehr und auch keine Handlungen einzelner durchgeknallter Extremisten. Das Ganze hat System und Struktur und spielt sich ab vor dem Hintergrund einer latenten Fremdenfeindlichkeit, die auch das bürgerliche Parteienspektrum berührt. Jetzt, wo die Sache völlig aus dem Ruder läuft und das ganze demokratische Gemeinwesen in Gefahr schwebt, wacht man endlich auf und versucht, den unheilvollen Geist in die Flasche zurückzustopfen. Aber OK, lieber zu spät als gar nicht. Doch am besten gleich diesen Ungeist  selbst bekämpfen. Nicht mit Verboten, die allein nützen sowieso nichts, sondern sich unbequemen Diskussionen offen stellen, mit ehrlichen Fakten, mit überzeugenden Argumenten und mit einer Politik, die der breiten Masse der Bevölkerung Vertrauen und soziale Sicherheit gibt. Deswegen demonstrieren wir und deswegen haben wir als Mit-Initiatorin der großen Hamburg-Kundgebung zu Anstand und Widerstand aufgerufen.

In unserem „kleinen“, bunten Kreis der AGIJ versuchen wir das uns Mögliche, ein konstruktives und respektvolles Miteinander der Kulturen und Völker zu leben – im „großen“, solidarischen Kreis der vielen Initiativen, gesellschaftlichen Gruppen und Parteien versuchen wir, möglichst viele BürgerInnen für die Verteidigung unserer demokratischen Werte zu gewinnen.

Auf diesem Wege wünsche ich Euch und uns allen viel Erfolg. Wir freuen uns über Euer Engagement, in und außerhalb der AGIJ. Bis zum nächsten Editorial  oder schon mal vorher in der AGIJ.

Herzlichst – Eure Gabriela (1. Vorsitzende)
Hamburg, 25. Jan. 2024