Editorial 4/4 2023 | Interkulturelle Jugendverbandsarbeit in Zeiten internationaler Krisen
Liebe Mitglieder & Freunde,
der schöne Sommer ist vorbei – und wir erinnern uns gerne an viele wunderbare Erlebnisse in der Natur im Rahmen unseres Sommerprogramms. Ob Arbeit als Tierpfleger im Wildpark oder eine Fahrradtour durch die Elblandschaften – da war für jede(n) was dabei und diese Aktivitäten hatten wahrlich großen Zulauf.
Selbstverständlich gab es neben den eher rekreativ-sportlichen Angeboten wie gewohnt Bildungs- und Infoveranstaltungen. Die 15 Wochenkurse liefen während der Sommerferien weiter, ergänzt durch eine Reihe von besonderen Events. Unter den vielen Einzelveranstaltungen möchten wir ganz besonders hervorheben den großen Kennenlernworkshop Anfang September, der sich besonders an die neuen Mitgliedsverbände richtete und auf dem sich viele Multiplikatoren aus unterschiedlichsten Kulturkreisen neu kennenlernten, sich gegenseitig über ihre Vereine und Angebote informierten und auch über die aktuellen Aktivitäten der AGIJ informiert wurden. Des Weiteren ist die Weiterbildung im Bereich der Öffentlichkeitsarbeit eine gesonderte Erwähnung wert. Im Workshop zum Storytelling und in zwei Podcast-Produktionsworkshops lernten Jugendlichen, wie man die eigene migrantische Biographie in überzeugender und gleichsam attraktiver Form für ein breiteres Publikum aufbereitet.
Das 5-Jahres-Schulprojekt “Schule – und was dann?“, gefördert von Aktion Mensch, hat in der Zwischenzeit richtig an Fahrt aufgenommen. Wir haben eine neue Mitarbeiterin, vielfältige neue Kontakte zu Schulen und einen großen und wachsenden Pool von jungen Menschen, die großes Interesse gezeigt haben und heute schon von den Maßnahmen des Projektes profitieren.
Das Thema „Bildung und Ausbildung“ wird auch in den Workshops des 4. Quartals eine zentrale Rolle spielen. Ein Workshop an 2 Terminen im Oktober und November mit dem Titel „Durchstarten in den Beruf“ gibt Jugendlichen einen Überblick über Berufsfelder und Ausbildungsbetriebe sowie praktische Tipps für die ersten persönlichen Schritte in das Berufsleben. Außerdem werden wir bei einer Infoveranstaltung im Dezember das Bildungssystem in Hamburg in seiner Grundstruktur vorstellen, um jungen Leuten eine erste Orientierung zu geben, welche Bildungswege für sie infrage kommen. Diese Veranstaltung organisieren wir zusammen mit der JBA (Jugendberufsagentur) – eine willkommene und neuerliche Erweiterung unseres Netzwerkes im Bereich der Aus- und Weiterbildung.
Bei all den Aktivitäten beschäftigt uns natürlich auch die politische Weltsituation. Dass nach dem Ausbruch des Ukraine-Krieges ein weiterer bewaffneter Konflikt auf dem Gebiet der ehemaligen SU wiederum Tausende von Menschen in die Flucht treibt, macht uns einfach sprachlos. Mitglieder von Verbänden der AGIJ sind aufgrund familiärer Bindungen persönlich von der Krise um Bergkarabach betroffen. Wir alle fühlen uns irgendwie ein bisschen hilflos und können von hier aus nichts anderes tun, als an alle Seiten zu appellieren, diesen Konflikt schnellstmöglich zu beenden. Und zwar so, dass es für alle Seiten eine akzeptable, langfristig tragbare Lösung gibt – ohne dass es weitere Vertreibungen bedeutet und vor allem, ohne dass es weitere Menschenleben kostet.
Kriege, politische Krisen, gesellschaftliche Konflikte und nicht zuletzt der Klimawandel lösen derzeit mehr Flüchtlingsströme aus als je zuvor. Dass diese Flüchtlingsströme ihre historischen Ursachen im Kolonialismus und in einer bis heute zutiefst ungerechten Weltwirtschaftsordnung haben, ist eine Tatsache, die meistens verborgen bleibt und in der aktuellen Diskussion gerne verdrängt wird. Gründe, die unmittelbarer und offensichtlicher sind, werden eher zitiert – und die gibt es natürlich auch: Korruption durch lokale Eliten, imperialistische Ideen raffgieriger Machthaber, ethnisch-nationale Unterdrückung, die Gier von Schlepperbanden – und bei alledem natürlich auch der Wunsch nach einem gesicherten Lebensunterhalt der Bevölkerung in den betroffenen Regionen. Dass dieses Konglomerat von Dramen so gelöst werden muss, dass die jungen Generationen in ihren eigenen Ländern eine echte Zukunft aufbauen können und sich nicht auf einen lebensgefährlichen Fluchtweg begeben müssen, ist genauso klar. Solange das aber nicht passiert, werden wir keinen nennenswerten Rückgang von Fluchtbewegungen haben – egal, was immer an Migrationspolitik in der „sicheren“ Welt passiert.
Wir, die AGIJ, können nicht am großen Rad der Politik drehen. Aber wir werden weiterhin unsere Stimme erheben und uns auch weiterhin ganz pragmatisch darum kümmern, dass diejenigen jungen Leute, die aus Not zu uns kommen, eine realistische und würdige Lebensperspektive haben.
In diesem Sinne verbleibt bis zum nächsten Mal – oder besser bis zu einem unserer vielen Aktivitäten, die ihr dem aktuellen Flyer entnehmen könnt oder hier auf der Website seht –
Eure Gabriela
(1. Vorsitzende)