Editorial 2/4 2023 | Die AGIJ – Solidarität in pragmatischer Absicht


Aufbruch im Frühjahr


Liebe Mitglieder und Freunde der AGIJ,

Der Frühling ist da – und alle sind in Aufbruchstimmung. Auch in der AGIJ geht es recht munter zu. Wir sind weiter am Wachsen, neue interessierte Jugendgruppen stehen in den Startlöchern, die Räumlichkeiten werden allmählich eng und wir sind auf der Suche nach einer größeren Lokalität. Glücklicherweise scheint jetzt öfters die Sonne und wir können verstärkt auf Outdooraktivitäten ausweichen. Bei unseren Quartalsplanungen knüpfen wir an Bewährtes an, werden aber auch wieder eine Reihe neuer interessanter Angebote machen.


Kurzer Rückblick auf’s 1. Quartal


Durch unsere attraktiven Aktivitäten und unsere engagierten GruppenleiterInnen konnten wir viele neue Jugendliche gewinnen. Neben den 15 regelmäßigen Wochengruppen und -kursen fanden die Events und Workshops große Zustimmung. Besonders nachhaltig waren und sind dabei naturgemäß die Angebote, die auf eine Stärkung der Vereinsstrukturen abzielen, wie die Workshops zu Buchhaltung und Verwendungsnachweisen – eine wichtige Ergänzung zu unserer laufenden Beratungstätigkeit. Natürlich kamen auch sportlich-rekreative Aktivitäten nicht zu kurz wie Schlittschuhlaufen oder diverse Exkursionen. Wie sportliche und kulturelle Aspekte verbunden werden, zeigten einmal mehr die Gruppen Malca und Kilikia mit ihren akrobatischen Folkloregruppen, die regelmäßig in den Räumlichkeiten der AGIJ üben und zeitweise auch offen sind für spontan Interessierte.

Die Aktivitäten der Vereine sind – wie gewohnt  – so vielfältig gewesen wie die Vielfalt der AGIJ selbst. Sie hier auch nur ansatzweise aufzuführen, würde die Kapazität des Homepage-Servers wohl überfordern. Erwähnen möchten wir dieses Mal explizit die Arbeitsfelder Bildung, Kultur und Soziales, denen sich fast alle Mitgliedsverbände mit je unterschiedlicher Gewichtung widmen. So ist es im Bereich Bildung dem Eritreischen Jugendverband gelungen, den muttersprachlichen Unterricht für Kinder und Jugendliche (in Tigrinya) wieder neu und mit großem Zuspruch aufzunehmen, auf kulturellen Bereich konnte Malca die beeindruckende indigene Kultur Perus vorstellen, während Tanzbrücke sich mit ihren Kinder- und Jugendgruppen auf die Deutsche Meisterschaft im Folkloretanz vorbereitet. Eine besondere Erwähnung verdienen die sozialen Aktivitäten zugunsten der Erdbebenopfer in der Türkei und Syrien: Die großen Benefizkonzerte von MIG und Cooltur und die Spendensammelaktionen von Komcivan und MIG, bei denen viele Tausend Euros zusammengekommen sind. 


Vorschau auf’s 2. Quartal 


Einen Überblick über die Angebote haben wir im Print-Flyer für das 2. Quartal veröffentlicht, ausführliche Informationen findet sich hier auf der Website. Daneben gibt es immer wieder Aktivitäten, die wir spontan dazwischenschieben oder die beim Druck des Flyers terminlich noch nicht feststanden. Darunter fällt z.B. die diesjährige Mitgliederversammlung mit Vorstandswahl, die wir mittlerweile auf So., den 7. Mai, 15:00 h terminiert haben. Ein anderer Tagesordnungspunkt wird sein die Anträge von neuen Vereine auf Mitgliedschaft in der AGIJ – mittlerweile über 10.

Neben den laufenden Kursen und Gruppen werden wir im Rahmen unserer Bildungsarbeit das Rathaus und das Auswanderermusum besuchen, eine alternative Stadtrundfahrt durchführen und ein Workshop zum Storytelling anbieten. Ein wichtiger Bestandteil unserer Angebotspalette betrifft wie immer die Vereinsstärkung – dazu gibt es ein Jugendgruppenleiterseminar und ein Workshop zum Antragsverfahren für Mikroprojekte. Unser Engagement im Bereich Inklusion ergänzen wir durch einen Besuch des „Dialog im Stillen“. Und angesichts der rapide wachsenden Bedeutung in allen Lebensbereichen greifen wir verstärkt das Thema „Digitalisierung“ auf. Webdesign, Programmierung, Video-Editing, 3-D-Workshop und digitale Konferenzen stehen auf dem Angebotsplan – alles Themen, die junge Leute für Schule, Ausbildung, Uni, Beruf und nicht zuletzt für ihre Vereinsarbeit bestens gebrauchen können. Und last – but not least – starten wir ab April das 5-jährige Unterstützungs-Projekt „Schule – und was nun“, in Kooperation mit Schulen, Kammern und Betrieben, gefördert von „Aktion Mensch“. Für die engagierte Unterstützung seitens des Paritätischen möchten wir hier noch einmal unseren Dank aussprechen.


Neue Mitarbeiter


Vicente Martínez (genannt auch Tito), unsere langjährige pädagogische Fachkraft, ist mit Ablauf des Februar in den wohlverdienten Ruhestand gegangen. Vielen, vielen Dank Tito für deine unermütliche Arbeit, die sich in dem laufenden Ausbau und den großartigen Erfolgen der selbstorganisierten Migrantenjugend Hamburgs niedergeschlagen hat. Danke, dass du auch weiterhin ehrenamtlich dem Vorstand und der Geschäftsführung zur Seite stehst, vorübergehend des neue Projekt „Schule – was nun?“ anleitest und sogar noch als Gruppenleiter einen Sport-Kurs organisierst.

Alejandro G. Lario bekleidet seit Anfang März die Stelle der BEKO (Beratungs- und Koordinierungsstelle). Er ist Doktor der Soziologie, spricht eine Reihe von Fremdsprachen (darunter Japanisch), hat viel Erfahrung mit unterschiedlichsten Kulturen und hat bereits (seit 2020) das Geflüchtetenprojekt der AGIJ geleitet.  Wir freuen uns, in Alejandro einen engagierten und kompetenten Nachfolger gefunden zu haben.

Wir sind nunmehr dabei, auch das Geflüchtetenprojekt und das Schulprojekt neu zu besetzen und werden demnächst die MitarbeiterInnen vorstellen. 


Die Verwerfungen dieser Welt – und unsere Haltung


Häufig werden wir gefragt, ob wir als interkultureller Jugendverband, mit so vielen jungen Leuten aus der ganzen Welt, nicht unsere Einschätzung geben möchten oder Stellung beziehen wollen zu den vielen aktuellen Verwerfungen, Katastrophen und Kriegen.

Dazu möchten wir klarstellen: Natürlich sind wir von diesen Ereignissen zutiefst berührt und wir verfolgen nicht nur die Geschehnisse, wie den Krieg in der Ukraine, den mutigen Kampf der Frauen im Iran, die Dauerkonflikte im Nahen und Mittleren Osten, die  Hungers- und Dürrenöte in Afrika oder die bürgerkriegsähnlichen Zustände in Peru.  Wir sind auch durch die vielen Geflüchteten, die zu uns kommen und die vielen Familienangehörigen unserer Mitglieder selber betroffen. Wir kennen die Nöte nicht nur aus Nachrichten, Internet und Zeitung, sondern aus der täglichen Arbeit und häufig auch aus persönlicher Erfahrung vor Ort.

Und gerade deswegen wissen wir, wie herausfordernd es ist, Stellungnahmen zu geben, die über Allgemeinplätze und Selbstverständlichkeiten hinausgehen. Wenn wir informieren und Stellung beziehen, dann taten und tun wir das auf einer soliden Faktenbasis, umfangreich recherchiert, reflektiert und differenziert. Einige Beispiele: Unsere Veröffentlichung zum Kurdistan-Konflikt, die Diskussionsrunde mit israelischen Soldatenmüttern, die Nationalitätenabende zu Armenien, die Podiumsdiskussion zum Irak- und Afghanistan-Krieg usw. 

Aber wir können uns nicht zu allen Verwerfungen dieser Welt ausführlich und differenziert äußern. Wollten wir das, wüssten wir gar nicht, wo wir anfangen und aufhören sollen. Es ist auch schwierig, die Meinung der AGIJ wiederzugeben, angesichts der unterschiedlichen Erfahrungen, Biographien, der kulturellen Vielfalt und auch der vielen Meinungen. Und seien wir mal ehrlich: Moralische Empörung über Gewalt und Krieg wird jeder leicht äußern können. Aber ist es wirklich immer klar, wer der Böse und wer der Gute ist? Gibt es überhaupt die nur Guten oder die nur Bösen? Die Grenzen verschwimmen, ein differenziertes Urteil macht eine umfassende Analyse und zumeist einen weiten Rückgriff in die Geschichte notwendig. Patentlösungen gibt es ohnehin nicht und irgendwie bleibt man nach endlosen Diskussionen zumeist ratlos, ja hilflos zurück.

Stattdessen kümmern wir uns als Jugendverband um die jungen Leute, die aufgrund der Probleme dieser Welt zu uns kommen und um die Probleme, die junge Menschen haben, die schon lange hier wohnen oder die hier geboren sind. Und von diesen Problemen gibt es mehr als genug. Ob Aufenthaltsrecht, Anerkennung von Zeugnissen, Sprachprobleme, Ausbildung, Schule und Uni, Umweltfragen, Wohnung, Familie – und natürlich alles rund um die Organisation der Vereine. Hier liegt unser Schwerpunkt, hier können wir etwas erreichen. Hier sind wir Anlaufstelle, vermitteln Kontakte, geben Orientierung, Halt und praktische Lebenshilfe. Das wird auch in Zukunft keinesfalls ausschließen, dass wir uns als AGIJ zu internationalen Konflikten äußern. Aber wenn, dann in der gebotenen Tiefe und Seriösität. Doch wenn unsere Zeit begrenzt ist, dann entscheiden wir uns im Zweifel für die pragmatische Arbeit vor Ort. Dort schafft man nicht nur einen praktischen Mehrwert für andere, sondern erlebt auch selber persönliche Zufriedenheit.

In diesem Sinne freuen wir uns auf viele spannende Aktivitäten und viele neue BesucherInnen.

Herzlichst im Namen des ganzen Vorstandes –
Eure Gabriela, 1. Vorsitzende

[Hamburg, 1. April  2023]